Therapeutische Umwelt

Definition

Nach dem Konzept des „Behavior Setting“ der Ökologischen Psychologie werden je nach Kontext passende Verhaltensweisen generiert. Somit kann die Umwelt Einfluss auf das Befinden und die Handlungsweisen von Personen nehmen. Dieser Ansatz wird mit dem sogenannten Therapeutischen Milieu in Einrichtungen des Gesundheitswesens umgesetzt. Dabei werden nach Kruse, Graumann, Lantermann (1990) zwei wesentliche Ziele verfolgt:

1. Zum einen soll die Genesung durch Minimierung von Stresseinwirkungen (z. B. Lärm, Schadstoffen oder emotionalen Belastungen durch Kontrollverlust) gefördert werden. Auch Ulrich (1991) beschreibt Stress als bedeutendes Hindernis für den Heilungsprozess und empfiehlt in diesem Zusammenhang eine Förderung des Kontrollgefühls der Patienten über die Umweltbedingungen, den Zugang der Patienten zu sozialer Unterstützung (beispielsweise durch die Angehörigen) und zu positiver Ablenkung (z. B. durch Betrachtung von Natur).

2. Die Therapeutische Umwelt muss zudem durch „Geeignete bauliche, organisatorische und soziale Umweltbedingungen […], die Entwicklung bzw. Wiedererlangung autonomie-orientierter Handlungsweisen unterstützen […]. Damit kann die Wiedereingliederung der Betroffenen in die familiäre und berufliche Umwelt besser bewältigt werden.“ (Kruse, Graumann & Lantermann, 1990: 446).

Therapeutische Umwelt im psychiatrischen Kontext

Die potentiellen, baulich bedingten Stressoren in psychiatrischen Einrichtungen sind vielfältig. Dazu gehören beispielsweise Lärm, Kontrollverlust oder Beengungsgefühle. Durch eine angemessene Raumakustik und geeignete Funktionsabläufe (z. B. räumliche Entkopplung nächtlicher Akutzugänge von der Station) kann die Lärmbelästigung minimiert werden.

Die Einflüsse auf das Empfinden von Beengung sind sehr komplex und lassen sich nicht auf die tatsächliche Dichte reduzieren. Forschungsergebnisse zeigen, dass „[…] durch hohe Dichte gekennzeichnete Lebensbedingungen im Allgemeinen schädliche Auswirkungen auf physiologische Prozesse (erhöhte Daueraktivierung bis hin zu funktionalen Störungen) sowie auf affektive (z. B. negative subjektive Befindlichkeit), kognitive (z. B. Leistungsdefizite) und soziale (z. B. sozialer Rückzug) Prozesse haben.“ (Kruse, Graumann & Lantermann, 1990: 344). Baulich können Beengungsgefühle beispielsweise durch hohe Decken (Savinar & 1975), das Vorhandensein von Fenstern und Türen (McClelland & Auslander, 1976), Möglichkeiten der visuellen Ablenkung (Worchel & Teddlie, 1976), gute Orientierungsmöglichkeiten (Wener & Kaminoff, 1983) oder auch unbewohnte Bereiche wie Parks oder Einkaufszentren im Umfeld der Klinik (Rapoport, 1975) positiv beeinflusst werden.

Das Gefühl von Ausgeliefertsein und das daraus resultierende Einnehmen einer passiven Rolle der Patienten im institutionellen Umfeld sollte durch eine entsprechende Gestaltung, also einer aktiven Beteiligung der Patienten an der Gestaltung (z. B. Möblierungsvarianten) und Umweltkontrolle (z. B. über Sonneneinstrahlung, Raumtemperatur, Beleuchtung), zwingend vermieden werden. Unter Kontrolle der Umwelt versteht man in der ökologischen Psychologie die Möglichkeit, Ereignisse und Gegebenheiten der Umwelt zu verstehen, zu beeinflussen und zu prognostizieren. „Umweltkontrolle wirkt dem Gefühl, hilflos der Umwelt ausgesetzt zu sein, entgegen. So sind in Heimen lebende alte Menschen, die sich nicht hilflos fühlen, sondern Einfluss auf den Tagesablauf nehmen können, gesünder und glücklicher […]. Umwelten kontrollieren zu können bedeutet auch, diese so verändern zu können, dass sie zu den persönlichen Vorstellungen, Vorlieben, Absichten und Aktivitäten passen. […]“ (Flade, 2008: 136)

Die Gewährleistung von Privatsphäre sowie einer Wertschätzung der Patienten (z. B. baulich durch Hochwertigkeit der Ausstattung, Sauberkeit) sind ebenso zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie, weil sie Grundlage des Vertrauen des Patienten gegenüber der Institution und somit auch der Behandlung sind. Eine Beschneidung der Privatsphäre, welche in Akutphasen notwendig werden kann, sollte daher eine Ausnahme darstellen.

Die Nutzergruppe der Besucher darf bei der Planung einer psychiatrischen Einrichtung nicht außer Acht gelassen werden, da sie durch ihre emotionale Unterstützung den Genesungsprozess positiv beeinflussen kann. Es sind einfache Zugangs- und Orientierungssysteme sowie adäquate rä umliche Voraussetzungen für persönliche Gespräche mit den Angehörigen zu schaffen.

Im Sinne der Wiedererlangung autonomieorientierter Handlungsweisen werden im psychiatrischen Umfeld Trainingsmöglichkeiten für soziale und Alltagskompetenzen benötigt. Die Normalität gilt dabei als Maßstab für die Gestaltung, um möglichst authentische übungssituationen zu schaffen und einen institutionellen Charakter zu vermeiden.

Als Beispiel kann die Einnahme von Mahlzeiten herangezogen werden. Im Gegensatz zum somatischen Bereich, in dem die Speisenverteilung durch das Tablettsystem auf eine Einnahme der Mahlzeiten im Bett ausgerichtet ist, dient in der Psychiatrie das gemeinsame Speisen in der Gruppe dem sozialen Training. Dafür werden Therapieküchen mit Speiseräumen benötigt. Auf gleiche Weise können z. B. Waschküchen mit Waschmaschine und Trockner oder Nutzgärten die Therapie unterstützen. Die Unterteilung der Station in Bereiche für größere (z. B. gemeinsamer Aufenthaltsraum) und kleinere Gruppen (z. B. Sitznische auf dem Flur) dient der Übung der sozialen Interaktion in verschiedenen Kontexten sowie dem Erfahrungsaustausch unter den Patienten und soll eine möglichst individuelle Freizeitgestaltung (d. h. Gestaltung der therapiefreien Zeit) ermöglichen.

Zusammenfassend ist auf eine möglichst normale, anregende und vielseitige Umweltgestaltung zu achten, die eine Erprobung von Alltagssituationen unterstützt und das Training zum Ausgleich der Defizite der Patienten ermöglicht.

Literatur

  1. Flade, A. (2008)
  2. Kruse, L., Graumann, C., Lantermann, E. (Hg.) (1990)
  3. McClelland, L., Auslaender, N. (1976)
  4. Rapoport, A. (1975)
  5. Savinar, J. (1975)
  6. Ulrich, R.S. (1991)
  7. Wener, R., Kaminoff, R.D. (1983)
  8. Worchel, S., Teddlie, C. (1976)