Gewalt und Aggressivität

Gewalt und Aggresivität in der Psychiatrie

„Aggressionen und Übergriffe von Patienten einerseits und institutionelle Gewalt in der Psychiatrie andererseits existieren so lange wie dieses Fachgebiet.“ (Finzel et al., 2003: 196). Aggressives Verhalten von psychiatrischen Patienten während stationärer Behandlung ist ein häufiges Phänomen, welches oft unterschätzt wird. Insbesondere auf psychiatrischen Akutstationen und in geschlossenen Bereichen stellt dies ein ernstzunehmendes Problem dar.

„Untersuchungen auf psychiatrischen Akutstationen ergaben eine Prävalenz aggressiven Verhaltens von 7,5 % – 35 % […] aller aufgenommenen Patienten. In klinischen Gesamtpopulationen wurde aggressives Verhalten für 1,8 % – 10,3 % aller aufgenommenen Patienten angeben.“ (Ketelsen, 2005: 9). Die Angaben zur Häufigkeit aggressiven Verhaltens in der Literatur variieren jedoch sehr stark. Dies ist nicht zuletzt auf die uneinheitliche Definition des Begriffes zurück zu führen.

Es liegen unterschiedliche Instrumente zur Erfassung aggressiven Verhaltens von Patienten vor, so z. B. die Overt Aggression Scale (OAS) oder die Staff Observation Aggression Scale (SOAS). Die Ausprägungen aggressiven Verhaltens reichen von verbaler Gewalt, über Gewalt gegen sich selbst, bis hin zu fremdaggressivem Verhalten gegen Personal oder Mitpatienten bzw. gegen materielle Dinge.

Finzel und seine Kollegen (2003) konnten durch eine standardisierte Dokumentation aggressiven Verhaltens von Patienten im Bezirkskrankenhaus Gabersee über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren zeigen, dass etwa zwei Drittel aller aggressiven Handlungen von Männern verübt werden. In anderen Studien wird jedoch auf das Gleichverhältnis von Männern und Frauen im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten in der stationären Psychiatrie hingewiesen. Einen Überblick über diese Studien bieten Schanda und Taylor (2001).

Es besteht Einigkeit in der Literatur darüber, dass das Pflegepersonal das häufigste Ziel der verbalen oder körperlichen Gewalt darstellt. Zwar sind die körperlichen Folgen für das Personal meist unerheblich, die emotionalen Folgen jedoch können einen entscheidenden Einfluss auf die Stationsatmosphäre haben.

Die Ursachen aggressiven Verhaltens sind sehr vielfältig. „Neben statistisch/ aktuarischen Risikofaktoren wie soziale Schicht, aggressives Verhalten in der Vorgeschichte, dissoziale Persönlichkeitsmerkmale und (teilweise) Diagnosen haben vor allem dynamische Risikofaktoren, wie akute Intoxikation, Substanzmissbrauch, mangelnde Krankheitseinsicht bzw. Compliance* sowie produktiv-psychotische Symptome Einfluss auf Frequenz und Schweregrad von einschlägigen Vorfällen, an externen Faktoren Personaldichte, Stationsgröße und -struktur, vor allem aber Haltung und Einstellung des Betreuungspersonals sowie dessen Fähigkeit, Risikosituationen und Frühwarnzeichnen zu erkennen bzw. adäquat damit umzugehen.“ (Schanda & Taylor, 2001: 443).

Einfluss der Architektur auf Gewalt und Aggresivität

Die Architektur besitzt Einfluss auf die emotionale Befindlichkeit und somit auch auf das Aggressionspotential der Patienten. Die Achtung der grundlegenden Bedürfnisse der Patienten, beispielsweise das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz, nach Privatsphäre, nach Kommunikation oder Besetzung und Aneignung eines Territoriums stellt eine aggressionspräventive Maßnahme dar. „Architektur selbst führt nicht direkt zu Gewalt und Aggression. Es sind die sozialen und territorialen Bedingungen, die – durch Architektur mitbestimmt – zu Gewalt und Aggressionen führen. […] Zu Gewalt und aggressiven Übergriffen wird es umso eher kommen, je weniger Patienten in Kliniken Einfluss auf die Gestaltung von sozialen und territorialen Bedingungen nehmen können, das heißt, wenn sie diesen machtlos ausgeliefert sind.“ (Welter, 1997: 88).

Ein hohes Maß an Umweltkontrolle, beispielsweise durch Gestaltungsmöglichkeiten des Patientenzimmers oder Regelungsmöglichkeit der Raumtemperatur, trägt ebenso zu einer aggressionshemmenden Atmosphäre bei. Durch ausreichende Raumgrößen und eine Entflechtung der Aktivitäten auf der Station durch Vorhaltung mehrerer, verschiedenartiger Aufenthaltsbereiche kann Beengungsstress und daraus resultierendes Aggressionspotential vermieden werden. Nijman und Rector haben in einer empirischen Studie nachgewiesen, dass eine gewisse Korrelation zwischen der Patientenanzahl einer Station, also der Dichte, und aggressiven Vorfällen besteht. Wichtiger als der physische Platz scheint jedoch der psychologische Raum, im Sinne der Befriedigung des Bedürfnisses nach Privatsphäre, zu sein. (vgl. Nijman & Rector, 1999) Insgesamt sollten Stresssituationen, wie akustische Belästigungen in größeren Räumen wie dem Speisesaal, durch eine angemessene bauliche Gestaltung möglichst vermieden werden.

Neben der Befriedigung psychologischer Bedürfnisse und der Vermeidung von Stresssituationen bestehen weitere architektonische Möglichkeiten zur Vermeidung von Aggressionen. Insbesondere zur Wechselwirkung zwischen Umweltgestaltung und Vandalismus liegen empirisch belegte Erkenntnisse vor. Diese wurden anhand von Studien in Wohnanlagen und Schulen gewonnen. Trotz der beschränkten Übertragbarkeit auf psychiatrische Einrichtungen scheinen die Ergebnisse erwähnenswert. Als vandalismushemmende Kriterien wurden ein guter Erhaltungszustand und Gepflegtheit der gebauten Umwelt ermittelt (vgl. Rolinski, 1980). Klockhaus und Habermann-Morbey stellten bei einem Vergleich von Schulgebäuden eine stärkere Tendenz zu Vandalismus in besonders unwohnlich und einfallslos eingerichteten Klassen fest. Eine ansprechende Gestaltung sowie eine gute Pflege der Räumlichkeiten werden auch hier als vandalismusmindernde Maßnahmen beschrieben (vgl. Klockhaus & Habermann-Morbey, 1984).

Literatur

* Compliance: Bereitschaft des Patienten, sich therapeutischen Maßnahmen zu öffnen

  1. Finzel, M., Schmidmeier, R., Fric, M., Widauer, M., Laux, G. (2003)
  2. Ketelsen, R. (2005)
  3. Klockhaus, R., Habermann-Morbey, B. (1984)
  4. Nijman, H. L., Rector, G. (1999)
  5. Rolinski, K. , Ahlborn, W., Herold, H.,Schwabe- Höllein, M. et al (1980)
  6. Schanda, H., Taylor, P. (2001)